ZWILLINGE
VERMESSEN

VERERBUNG
BERECHNEN

Im Untergeschoss des Gebäudes in der Ihnestraße 22 befand sich früher das „Untersuchungszimmer für Zwillinge“. In der Zwillingsforschung galt das Institut international als führend. Forschende gingen der Frage nach: Ist es das Erbgut oder sind es Umwelteinflüsse, die Aussehen, Verhalten und Krankheiten beim Menschen bestimmen?

Eineiige Zwillinge verstanden die Forschenden als genetisch identisch. Unterschiede zwischen ihnen führten sie deshalb auf den Einfluss der Umwelt zurück, Ähnlichkeiten dagegen auf das Erbgut. Die Abweichungen, die zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen auftraten, hielten Forschende in Zahlen fest und verglichen sie mit den Abweichungen bei eineiigen Zwillingen. So sollte die Erblichkeit eines Merkmals mathematisch erfassbar gemacht werden.

Ein Zwillingspaar bei Fotoaufnahmen im Institut, um 1930
Ein Zwillingspaar bei Fotoaufnahmen im Institut, um 1930 ullstein bild

Am Institut wurden Zwillingspaare untersucht, vermessen und fotografiert. Fotos wie dieses waren sorgfältig inszeniert. Mit ihnen stellte sich das Institut als moderne Einrichtung dar, die unter Laborbedingungen an Menschen forschte.

Foto eines Weißen Mannes in weißem Kittel. Es ist Otmar von Verschuer. Er steht an der geöffneten Schublade eines Aktenschranks und liest ein Dokument der Zwillingskartei.
Otmar von Verschuer mit der „Zwillingskartei“, ohne Datum Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI., Rep. 1, Verschuer, Otmar von I/7

Otmar von Verschuer setzt hier die „Zwillingskartei“ des Instituts in Szene. Anfang der 1930er-Jahre waren medizinische Daten von über 700 am Institut untersuchten Zwillingen zusammengefasst. Große Datenmengen waren für die Zwillingsmethode wichtig, weil die Einflüsse von Umwelt und Erbgut statistisch gemessen werden sollten. Nach 1945 führte Verschuer die Kartei an der Universität Münster weiter.

Postkartenmotiv, das etwa 15 Gebäude der Kinderheilstätte Seehospiz „Kaiserin Friedrich“ zeigt. Die Gebäude aus rotem Stein liegen nahe des Strandes. In der oberen Bildhälfte ist die Nordsee dargestellt.
Postkarte der Kinderheilstätte Seehospiz „Kaiserin Friedrich“ auf Norderney, ohne Datum Archiv für Diakonie und Entwicklung, Berlin

Auf der Insel Norderney und bei Berlin organisierte Kurt Gottschaldt, Leiter der Abteilung für Erbpsychologie, 1936 und 1937 „Zwillingslager“. Insgesamt verbrachten dort über 300 Kinder ihre Sommerferien. Forschende führten zweimal täglich „Verhaltens- und Stimmungslisten“ über jedes Kind. Gottschaldt war zeitlebens damit beschäftigt, die uneinheitlichen Daten in eine auswertbare Form zu bringen.

Foto eines Weißen Mannes an einem Tisch. Es ist Otmar von Verschuer. Er trägt einen weißen Kittel und hat die Arme verschränkt.
Otmar von Verschuer an seinem Schreibtisch, ohne Datum Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI., Rep. 1, Verschuer, Otmar von I/2

Otmar von Verschuer

Der junge Wissenschaftler Otmar von Verschuer (1896–1969) war von Gründungsdirektor Eugen Fischer als Leiter der Abteilung für menschliche Erblehre eingesetzt worden. 1942 folgte Verschuer ihm als Direktor und profilierte das Institut als Standort der Zwillingsforschung.

Verschuer unterhielt enge Verbindungen in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Der dortige „Lagerarzt“ Josef Mengele hatte bei ihm die Zwillingsmethode gelernt. An inhaftierten Zwillingen führte Mengele sein eigenes Forschungsprogramm durch.

Dass Mitarbeiter*innen des Instituts an den Körpern von in Lagern Ermordeten forschten, nahm Verschuer mindestens billigend in Kauf. Nach 1945 setzte er seine Karriere als Professor an der Universität Münster fort.

Die zweite Abbildung zeigt Porträts eines Zwillingspaars mit 17, 20, 29 und 43 Jahren.
Aus: Otmar von Verschuer, „Wirksame Faktoren im Leben des Menschen“, 1954 Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin

Nach 1945 setzte Verschuer die in den 1920er-Jahren begonnenen Untersuchungen an einer Gruppe von Zwillingen fort. Die Zwillinge hatte er auch während des Nationalsozialismus am Institut untersucht. In seinem Buch vermied Verschuer, darauf hinzuweisen. Im Diagramm nannte er nur die Jahre 1927 und 1953.

Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, nach 1936 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4b
Foto von drei Personen in einem Untersuchungszimmer. Eine Person in Kittel oder Kleid fotografiert eine sitzende Person im Profil. Daneben steht das Zwillingsgeschwister der fotografierten Person.
Ein Zwillingspaar bei Fotoaufnahmen im Institut, um 1930 ullstein bild
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933 Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik um 1933/34. Auf einer Fahnenstange weht die Hakenkreuzflagge.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik mit Hakenkreuzflagge, um 1933/34 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4a
Das zweite Bild ist das Foto einer Frau mit dunkler Hautfarbe, der Doktorandin Irawati Karvé. Sie steht neben einem Tisch mit einer Reihe von Totenköpfen.
Irawati Karvé mit menschlichen Schädeln im „Auspackraum“ des Instituts, ohne Datum Privatarchiv Irawati Karvé/Urmilla Deshpande

DachgeschossEntmenschlichung