FORSCHUNG
AM TIER

FORSCHUNG
AM MENSCHEN

Das heute noch bestehende kleine Gebäude hinter dem Institutsbau diente als Stall für Versuchstiere. Wissenschaftler*innen des Instituts benutzten Ratten, Kaninchen, Hunde und Hühner für Züchtungsexperimente. 1936 wurde ein weiterer großer Stalltrakt errichtet, der nicht mehr existiert. Das Interesse der Forschenden galt der menschlichen Vererbung – Tiere dienten als Modell für den Menschen. Ihnen wurden keine Rechte zugeschrieben, die Forschung an Tieren kannte keine Grenzen.

Wenn Wissenschaftler*innen in der Weimarer Republik an Menschen forschten, mussten sie noch deren Zustimmung einholen. Im Nationalsozialismus erhielten Forscher*innen beinahe unbegrenzten Zugriff auf Menschen in Lagern und „Heilanstalten“. Diese hatten keine Möglichkeit zu widersprechen.

Foto von acht Weißen Personen vor dem Tierstall, darunter die Abteilungsleiter Fischer, Verschuer und Muckermann. Fünf Personen tragen Anzüge, drei tragen Kleider.
Institutsmitarbeiter*innen vor dem Tierstall, 1928 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI., Rep. 1 Fischer Eugen, Bild II/20

Gruppenbild vor dem Stall für Versuchstiere: In ländlich anmutender Idylle haben sich Institutsmitarbeiter*innen neben dem frisch gepflanzten Pflaumenbäumchen aufgestellt. Von 1998 bis 2017 befand sich in dem Gebäude das studentische „Rote Café“.

Grundriss des Tierstalls. Das eingeschossige Gebäude ist in einen großen und zwei kleine Räume, einen Erker, einen Flur, einen Keller und zwei Ausläufe gegliedert.
Bauplan des Tierstalls, vor 1927 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. IV., Rep. 1, 982

Der Bauplan bildet die Struktur des kleinen Stalls von 1927 ab: Es gab drei Räume für Kleintiere wie Kaninchen und Hühner sowie ein Hundebad, im Außenbereich Ausläufe. Der halbrunde Vorbau auf der anderen Seite des Gebäudes diente als Operationsraum. Die beschränkten Ausmaße des Stalls zeigen, dass es in den Anfangsjahren des Instituts noch keine groß angelegten Tierzuchten gab.

Planskizze, die ein längliches Stallgebäude aus zwei Blickrichtungen zeigt. Das dargestellte Gebäude ist deutlich länger als der kleine Tierstall.
Planskizze von Stallungen und dem Chauffeurgebäude, um 1935 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. IV, Rep. 1B, 973

Direkt neben dem Institutsgelände entstand 1935/36 ein großer Komplex mit Stallungen. Der Plan sah zwei Rattenställe, einen Kaninchen- sowie einen Hühnerstall vor. Direkt davor – zur Ihnestraße hin – entstand das „Chauffeurhaus“ des Instituts. Die Gebäude wurden später abgerissen und durch Neubauten ersetzt.

Hans Nachtsheim

Der Zoologe und Genetiker Hans Nachtsheim (1890–1979) übernahm 1941 die neu gegründete Abteilung für experimentelle Erbpathologie. Nachtsheim wollte herausfinden, inwiefern Krankheiten auf Vererbung zurückgehen. Dafür züchtete er „kranke“ und „gesunde“ Kaninchenstämme. Er beteiligte sich auch an Menschenexperimenten.

Nach Kriegsende erlaubten ihm die US-Behörden, weiter vor Ort zu arbeiten. Er galt als politisch unbelastet. Nachtsheim nutzte die verbliebenen Tiere weiter für Forschungszwecke und wohnte im „Chauffeurhaus“. 1949 ernannte ihn die Freie Universität zum Biologie-Professor. Das von ihm aufgebaute Genetik-Institut leitete er bis 1955. Zudem wurde er Direktor des Max-Planck-Instituts für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie.

Foto von Hans Nachtsheim in einem weißen Kittel. Vor ihm auf dem Tisch stehen zwei Hunde mit dunklem Fell, die einander sehr ähnlich sehen. Nachtsheims Hände liegen auf den Rücken der Hunde.
Hans Nachtsheim mit zwei Hunden vor dem Stallkomplex des Instituts, 1942 Deutsches Museum, Archiv, PT 02637/01 b
Zwei Fotos von zwei Personen mit heller Haut, die weiße Kittel tragen. Auf dem ersten hält eine Person ein Kaninchen fest, während die zweite, Hans Nachtsheim, das Ohr des Kaninchens markiert. Auf dem zweiten wird das Kaninchen in einem Käfig gewogen.
Hans Nachtsheim bei einem Tierversuch mit Kaninchen, 1933 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI., Rep. 1, NL Nachtsheim II/1

Die Bilder zeigen Hans Nachtsheim vor seiner Zeit in der Ihnestraße. Am Berliner Institut für Vererbungsforschung tätowiert und wiegt er 1933 zusammen mit einer Assistentin ein Versuchskaninchen. Später züchtete Nachtsheim unter anderem Kaninchen mit einer Krankheit, die er als „erbliche Epilepsie“ bezeichnete. In Unterdruckkammern löste er Krampfanfälle bei den Tieren aus.

Auszug aus der Patientinnenakte von Hildegard K, in der die an ihr verübten Versuche beschrieben werden. Ihr wird wiederholt ein präpariertes Luftgemisch zugeführt, um epileptische Krampfanfälle auszulösen. Hildegard K. ist von den Versuchen benommen.
Bericht über Menschenversuch aus der Patientinnenakte von Hildegard K., 1943 Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA), Rep. 55C, Landesanstalt Brandenburg Görden, Nr. 7576

Dieser Bericht stammt aus der Akte von Hildegard K. Das elfjährige Mädchen wurde mit der Diagnose „Epilepsie“ 1941 in die „Heilanstalt“ Görden eingewiesen. Nachtsheim brachte das Mädchen 1943 in einer Unterdruckkammer in Lebensgefahr, indem er die Sauerstoffzufuhr reduzierte. Er wollte überprüfen, ob Sauerstoffmangel bei Kindern – wie zuvor bei Experimenten mit Kaninchen – Krampfanfälle auslöst.

Luftaufnahme des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik. Das Gebäude besteht aus vier Teilen mit etwa quadratischer Grundform, die in einer Reihe angeordnet sind. Neben dem Gebäude verläuft die Ihnestraße.
Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, 2021 Wikimedia/MPIMG/CC BY-SA 4.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Max-Planck-Institut_f%C3%BCr_molekulare_Genetik#/media/Datei:Luftbild_MPIMG_2021-06-30.jpg

Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in der Ihnestraße 63–73 steht in direkter Nachfolge von Nachtsheims Abteilung für experimentelle Erbpathologie. Aus dieser wurde 1953 das von Nachtsheim geleitete Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie. 1964 erhielt das Institut seinen jetzigen Namen. Heute wird hier am Genom und an genetischen Erkrankungen geforscht.

Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, nach 1936 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4b
Foto von drei Personen in einem Untersuchungszimmer. Eine Person in Kittel oder Kleid fotografiert eine sitzende Person im Profil. Daneben steht das Zwillingsgeschwister der fotografierten Person.
Ein Zwillingspaar bei Fotoaufnahmen im Institut, um 1930 ullstein bild
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933 Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik um 1933/34. Auf einer Fahnenstange weht die Hakenkreuzflagge.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik mit Hakenkreuzflagge, um 1933/34 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4a
Das zweite Bild ist das Foto einer Frau mit dunkler Hautfarbe, der Doktorandin Irawati Karvé. Sie steht neben einem Tisch mit einer Reihe von Totenköpfen.
Irawati Karvé mit menschlichen Schädeln im „Auspackraum“ des Instituts, ohne Datum Privatarchiv Irawati Karvé/Urmilla Deshpande

DachgeschossEntmenschlichung