Das heute noch bestehende kleine Gebäude hinter dem Institutsbau diente als Stall für Versuchstiere. Wissenschaftler*innen des Instituts benutzten Ratten, Kaninchen, Hunde und Hühner für Züchtungsexperimente. 1936 wurde ein weiterer großer Stalltrakt errichtet, der nicht mehr existiert. Das Interesse der Forschenden galt der menschlichen Vererbung – Tiere dienten als Modell für den Menschen. Ihnen wurden keine Rechte zugeschrieben, die Forschung an Tieren kannte keine Grenzen.
Wenn Wissenschaftler*innen in der Weimarer Republik an Menschen forschten, mussten sie noch deren Zustimmung einholen. Im Nationalsozialismus erhielten Forscher*innen beinahe unbegrenzten Zugriff auf Menschen in Lagern und „Heilanstalten“. Diese hatten keine Möglichkeit zu widersprechen.
Gruppenbild vor dem Stall für Versuchstiere: In ländlich anmutender Idylle haben sich Institutsmitarbeiter*innen neben dem frisch gepflanzten Pflaumenbäumchen aufgestellt. Von 1998 bis 2017 befand sich in dem Gebäude das studentische „Rote Café“.
Der Bauplan bildet die Struktur des kleinen Stalls von 1927 ab: Es gab drei Räume für Kleintiere wie Kaninchen und Hühner sowie ein Hundebad, im Außenbereich Ausläufe. Der halbrunde Vorbau auf der anderen Seite des Gebäudes diente als Operationsraum. Die beschränkten Ausmaße des Stalls zeigen, dass es in den Anfangsjahren des Instituts noch keine groß angelegten Tierzuchten gab.
Direkt neben dem Institutsgelände entstand 1935/36 ein großer Komplex mit Stallungen. Der Plan sah zwei Rattenställe, einen Kaninchen- sowie einen Hühnerstall vor. Direkt davor – zur Ihnestraße hin – entstand das „Chauffeurhaus“ des Instituts. Die Gebäude wurden später abgerissen und durch Neubauten ersetzt.
Der Zoologe und Genetiker Hans Nachtsheim (1890–1979) übernahm 1941 die neu gegründete Abteilung für experimentelle Erbpathologie. Nachtsheim wollte herausfinden, inwiefern Krankheiten auf Vererbung zurückgehen. Dafür züchtete er „kranke“ und „gesunde“ Kaninchenstämme. Er beteiligte sich auch an Menschenexperimenten.
Nach Kriegsende erlaubten ihm die US-Behörden, weiter vor Ort zu arbeiten. Er galt als politisch unbelastet. Nachtsheim nutzte die verbliebenen Tiere weiter für Forschungszwecke und wohnte im „Chauffeurhaus“. 1949 ernannte ihn die Freie Universität zum Biologie-Professor. Das von ihm aufgebaute Genetik-Institut leitete er bis 1955. Zudem wurde er Direktor des Max-Planck-Instituts für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie.
Die Bilder zeigen Hans Nachtsheim vor seiner Zeit in der Ihnestraße. Am Berliner Institut für Vererbungsforschung tätowiert und wiegt er 1933 zusammen mit einer Assistentin ein Versuchskaninchen. Später züchtete Nachtsheim unter anderem Kaninchen mit einer Krankheit, die er als „erbliche Epilepsie“ bezeichnete. In Unterdruckkammern löste er Krampfanfälle bei den Tieren aus.
Dieser Bericht stammt aus der Akte von Hildegard K. Das elfjährige Mädchen wurde mit der Diagnose „Epilepsie“ 1941 in die „Heilanstalt“ Görden eingewiesen. Nachtsheim brachte das Mädchen 1943 in einer Unterdruckkammer in Lebensgefahr, indem er die Sauerstoffzufuhr reduzierte. Er wollte überprüfen, ob Sauerstoffmangel bei Kindern – wie zuvor bei Experimenten mit Kaninchen – Krampfanfälle auslöst.
Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in der Ihnestraße 63–73 steht in direkter Nachfolge von Nachtsheims Abteilung für experimentelle Erbpathologie. Aus dieser wurde 1953 das von Nachtsheim geleitete Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie. 1964 erhielt das Institut seinen jetzigen Namen. Heute wird hier am Genom und an genetischen Erkrankungen geforscht.