„Wissenschaft und Politik stehen in einer dynamischen Beziehung zueinander: Politik stützt sich auf Wissenschaft, um bestimmte Maßnahmen zu untermauern. Und Wissenschaft kann von politischem Interesse profitieren. Diese Dynamik beeinflusst auch Forschungsinhalte und Forschungspraxis.“
Sheila Weiss, Historikerin
Noch heute befindet sich im Erdgeschoss der Ihnestraße 22 ein Hörsaal. Hier hielten Mitarbeiter*innen des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik Fortbildungen für Ärzte und Beamte über Prinzipien der Vererbung. Die Idee dahinter: Nur mit einem Verständnis für Vererbung lassen sich eugenische Maßnahmen entwickeln. Die Eugenik erklärte einige Bevölkerungsteile aufgrund ihrer Gene für erwünscht und andere für unerwünscht.
Die Schulungen zeigen: Am Institut waren Forschung und Politik eng verbunden. Der Staat erhoffte sich von der Wissenschaft eine fundierte Basis für bevölkerungspolitische Maßnahmen. Das Institut wiederum profitierte durch finanzielle Förderung vom Interesse des Staates.
Im März 1933 kamen 60 Beamte aus verschiedenen Ministerien für eine Woche zu einer Fortbildung in „Erblehre und Eugenik“ zusammen. Solche Kurse wurden bereits in der Weimarer Republik angeboten und im Nationalsozialismus fortgeführt.
Hermann Muckermann sah in dem Geburtenrückgang in Deutschland eine Gefahr. Mithilfe der Demografie als statistischer „Bevölkerungswissenschaft“ argumentierte er, dass als „gesund“ und „leistungsstark“ eingestufte Familien mehr Kinder bekommen müssten. Dafür bräuchten sie finanzielle Förderung.
Die Blutgruppenforschung stellte Otmar von Verschuer als innovativen Ansatz in der Vererbungsforschung dar. Durch diese glaubte er, eineiige von zweieiigen Zwillingen unterscheiden zu können. Außerdem wollte Verschuer im Blut die angebliche „Rassenzugehörigkeit“ von Menschen nachweisen.
Muckermann wollte verhindern, dass Menschen, die als behindert oder „geistig krank“ galten, Kinder bekommen. Deshalb warb er für deren „Asylierung“, also für ihre Einweisung in Anstalten. Weil das aber hohe Kosten verursache, sah er eine Alternative: die Sterilisation dieser Personen.
Institutsdirektor Eugen Fischer beschäftigte sich in vielen seiner Forschungen damit, welche körperlichen Vor- und Nachteile sich aus dem ergaben, was er als „Rassenkreuzungen“ verstand. Er warnte auch davor, dass „Rassenkreuzungen“ die Vorherrschaft Weißer Menschen gefährden könnten.