„Es ist gerade die Unschärfe des ‚Rasse‘-Konzepts, die seinen Erfolg erklärt: ‚Rasse‘ wurde ständig anders und nie genau definiert, Wissenschaftler*innen waren aber überzeugt, dass es sie gäbe. Sie waren deshalb ohne Unterlass damit beschäftigt, diese Idee zu behaupten und zu schärfen.“
Christine Hanke, Medienwissenschaftlerin
„Menschenrassen“ gibt es nicht – sie werden konstruiert. Forschende am Institut waren damit beschäftigt, diese Konstruktion zu stützen. Sie knüpften an einen damals neuen Forschungsstand an. Dieser besagte, dass „Rasse“ definiert sei durch vielfältige Merkmale, die sich über die Zeit auch verändern könnten. Die Wissenschaftler*innen grenzten sich damit von älteren Ansätzen ab, die behaupteten, „Rasse“ sei eine statische Einheit. Unstrittig war für Mitarbeiter*innen des Instituts gleichwohl, dass „Menschenrassen“ existierten und dass sie diesen „Rassen“ unterschiedliche Wertigkeiten zumaßen. Unstrittig war für sie auch, dass Wege gefunden werden sollten, die Zugehörigkeit von Menschen zu diesen vermeintlichen „Rassen“ „verlässlich“ zu identifizieren.
Von 1932 bis 1934 untersuchte Walter Dornfeldt jüdische, aus Osteuropa eingewanderte Familien. Seine Ergebnisse stützten damals neue Thesen: Selbst die Schädelform, die bis dahin als stabil vererbtes „Rassenmerkmal“ verstanden wurde, wandelte sich von einer Generation zur nächsten. An der Existenz von „Rassen“ zweifelte Dornfeldt aber nicht.
In dem antisemitischen Buch „Das antike Weltjudentum“ wandte Eugen Fischer eine Praxis an, die er am Institut eigentlich hinter sich lassen wollte. Er verglich Porträts aus dem antiken Ägypten mit aktuellen Fotos und ließ sich darüber aus, ob die Abgebildeten „orientalischen und vorderasiatischen Rassen“ angehörten. Er nutzte auch Fotos, die Doktoranden 1940 von Jüdinnen*Juden im Ghetto in Łódź angefertigt hatten.
Otmar von Verschuer hoffte, mithilfe eines Tests zur Bestimmung der Eiweißstruktur im Blut eindeutig ermitteln zu können, welcher „Rasse“ ein Mensch angeblich angehörte. Dazu erprobte er eine von Emil Abderhalden (1877–1950) entwickelte biochemische Methode. Verschuer ließ sich dafür ab 1943 Blutproben von Häftlingen aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau schicken – vermittelt durch seinen früheren Mitarbeiter Josef Mengele.
Die indische Doktorandin Irawati Karvé (1905–1970) vermaß Ende der 1920er-Jahre 149 Schädel von Menschen unter anderem aus der anthropologischen Sammlung des Instituts. Sie wollte prüfen, ob die Art der Asymmetrien in den Schädeln eine Zuordnung zu dem möglich machte, was Anthropolog*innen sich als „Rasse“ vorstellten. Nein, lautete ihre Antwort. Die Idee von „Rasse“ stellte sie dennoch nicht infrage.
Heinz Alexander (1911–1993) kam in Frankfurt am Main als Sohn des bekannten Arztes Franz Alexander und seiner Frau Käthe zur Welt. 1937 wurde der 26-jährige Architekt von der Gestapo der sogenannten „Rassenschande“ bezichtigt. Seit 1935 verboten die „Nürnberger Gesetze“ sexuelle Beziehungen zwischen sogenannten „deutschblütigen“ und „jüdischen“ Menschen. Die Nationalsozialisten kategorisierten Heinz Alexander als „Jude“, weil seine Eltern vor ihrem Übertritt zum Protestantismus dem Judentum angehört hätten. Ihm drohte deshalb eine Haftstrafe.
In seinem Prozess argumentierte Heinz Alexander, sein leiblicher Vater sei „deutschen Blutes“, weshalb er nach dem neuen rassistischen Gesetz nicht schuldig sei. Das Gericht beauftragte Otmar von Verschuer mit einem Gutachten. Mit Unterstützung seines Frankfurter Doktoranden Josef Mengele stufte er Heinz Alexander als „Volljuden“ ein. Das Gericht wies diese Einstufung jedoch zurück. Nach dem gewonnenen Prozess und fünf Monaten in Untersuchungshaft siedelte Heinz Alexander nach Brasilien über, seine Eltern folgten ihm nach. In São Paulo heiratete er 1946 Doris Fleischner, mit der er zwei Söhne hatte. Henrique Alexander, wie er sich jetzt nannte, brachte als erfolgreicher Architekt in den 1950er- bis 90er-Jahren neue Ideen in Brasiliens Architektur ein.
Familienarchiv Stefan Alexander
Bundesarchiv, Berlin
Das Institut verfasste im Auftrag von Gerichten und Behörden Abstammungsgutachten. Dabei ordneten die Wissenschaftler*innen Menschen angeblichen „Rassen“ zu. Für das 1937 erstellte Gutachten zu Heinz Alexander zog Otmar von Verschuer eigens angefertigte anthropologische Fotos von ihm und dessen Eltern heran. Verschuer klassifizierte Heinz Alexander als „Volljuden“ – und brachte ihn damit in Lebensgefahr.
Ehemalige Institutsmitarbeiter*innen verteidigten noch nach 1945 vehement Ideen von „Rasse“ und der Ungleichwertigkeit von Menschen. 1950 veröffentlichte die UNESCO, die Bildungs- und Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen, ein „Statement on Race“. Nach der Erfahrung des Nationalsozialismus wollte sie die Frage der „Rasse“ wissenschaftlich klären und die Gleichheit aller Menschen betonen. Nach Protest von Biolog*innen überarbeitete eine Kommission das Statement. Ihr gehörte der frühere Abteilungsleiter Hans Nachtsheim an.
Er bat seine ehemaligen Kollegen Eugen Fischer, Fritz Lenz und Hans Weinert um Kommentare. Diese strotzten vor Rassismen. 1952 veröffentlichte die UNESCO die neue Erklärung mit Auszügen aus den Stellungnahmen
Welche Rolle spielt die Idee von „Rasse“ im Antisemitismus?
Video-Kommentar von
Prof. Dr. Doron Kiesel, Zentralrat der Juden in Deutschland
3:13 Min.