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RASSISMUS
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„Es ist gerade die Unschärfe des ‚Rasse‘-Konzepts, die seinen Erfolg erklärt: ‚Rasse‘ wurde ständig anders und nie genau definiert, Wissenschaftler*innen waren aber überzeugt, dass es sie gäbe. Sie waren deshalb ohne Unterlass damit beschäftigt, diese Idee zu behaupten und zu schärfen.“

Christine Hanke, Medienwissenschaftlerin

„Menschenrassen“ gibt es nicht – sie werden konstruiert. Forschende am Institut waren damit beschäftigt, diese Konstruktion zu stützen. Sie knüpften an einen damals neuen Forschungsstand an. Dieser besagte, dass „Rasse“ definiert sei durch vielfältige Merkmale, die sich über die Zeit auch verändern könnten. Die Wissenschaftler*innen grenzten sich damit von älteren Ansätzen ab, die behaupteten, „Rasse“ sei eine statische Einheit. Unstrittig war für Mitarbeiter*innen des Instituts gleichwohl, dass „Menschenrassen“ existierten und dass sie diesen „Rassen“ unterschiedliche Wertigkeiten zumaßen. Unstrittig war für sie auch, dass Wege gefunden werden sollten, die Zugehörigkeit von Menschen zu diesen vermeintlichen „Rassen“ „verlässlich“ zu identifizieren.

Abbildung aus Walter Dornfeldts Publikation „Studien über Schädelform und Schädelveränderung von Berliner Ostjuden“ von 1941. Darin sind „Jochbogenbreite“ und „Unterkieferwinkelbreite“ als Berechnungsgrößen des „Jugomandibular-Index“ aufgeführt.
Aus: Walter Dornfeldt, „Studien über Schädelform und Schädelveränderung von Berliner Ostjuden“, 1941 Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin

Von 1932 bis 1934 untersuchte Walter Dornfeldt jüdische, aus Osteuropa eingewanderte Familien. Seine Ergebnisse stützten damals neue Thesen: Selbst die Schädelform, die bis dahin als stabil vererbtes „Rassenmerkmal“ verstanden wurde, wandelte sich von einer Generation zur nächsten. An der Existenz von „Rassen“ zweifelte Dornfeldt aber nicht.

Abbildungen aus einem antisemitischem Bildband, welchen Eugen Fischer und Gerhard Kittel 1943 veröffentlichten: Zwei Porträts aus dem antiken Ägypten werden mit dem Foto einer vermeintlich jüdischen Person und einer Person mit dunkler Haut verglichen.
Auszug aus Eugen Fischers und Gerhard Kittels antisemitischem Bildband, 1943 Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin

In dem antisemitischen Buch „Das antike Weltjudentum“ wandte Eugen Fischer eine Praxis an, die er am Institut eigentlich hinter sich lassen wollte. Er verglich Porträts aus dem antiken Ägypten mit aktuellen Fotos und ließ sich darüber aus, ob die Abgebildeten „orientalischen und vorderasiatischen Rassen“ angehörten. Er nutzte auch Fotos, die Doktoranden 1940 von Jüdinnen*Juden im Ghetto in Łódź angefertigt hatten.

Maschinenschriftlicher Forschungsbericht, welchen Otmar von Verschuer 1944 verfasste. Darin steht unter anderem, dass Experimente an in Auschwitz Internierten stattfinden sollen. Im Anschluss sollen Blutproben an Verschuers Laboratorium geschickt werden.
Otmar von Verschuer über seine Forschung mit Blut von Häftlingen aus Auschwitz, 1944 Bundesarchiv, Berlin

Otmar von Verschuer hoffte, mithilfe eines Tests zur Bestimmung der Eiweißstruktur im Blut eindeutig ermitteln zu können, welcher „Rasse“ ein Mensch angeblich angehörte. Dazu erprobte er eine von Emil Abderhalden (1877–1950) entwickelte biochemische Methode. Verschuer ließ sich dafür ab 1943 Blutproben von Häftlingen aus dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau schicken – vermittelt durch seinen früheren Mitarbeiter Josef Mengele.

Die zweite zeigt die Doktorandin Irawati Karvé mit menschlichen Schädeln im „Auspackraum“ des Instituts.
Irawati Karvé mit menschlichen Schädeln im „Auspackraum“ des Instituts, ohne Datum Privatarchiv Irawati Karvé/Urmilla Deshpande

Die indische Doktorandin Irawati Karvé (1905–1970) vermaß Ende der 1920er-Jahre 149 Schädel von Menschen unter anderem aus der anthropologischen Sammlung des Instituts. Sie wollte prüfen, ob die Art der Asymmetrien in den Schädeln eine Zuordnung zu dem möglich machte, was Anthropolog*innen sich als „Rasse“ vorstellten. Nein, lautete ihre Antwort. Die Idee von „Rasse“ stellte sie dennoch nicht infrage.

Zwei Abbildungen. Die erste stammt aus Irawati Karvés Doktorarbeit „Normale Asymmetrie des menschlichen Schädels“ von 1931. Darauf befindet sich die medizinische Zeichnung eines Schädels mit Messpunkten und Achsen.
Aus: Irawati Karvé, „Normale Asymmetrie des menschlichen Schädels“, 1931 Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin

Heinz Alexander

Heinz Alexander (1911–1993) kam in Frankfurt am Main als Sohn des bekannten Arztes Franz Alexander und seiner Frau Käthe zur Welt. 1937 wurde der 26-jährige Architekt von der Gestapo der sogenannten „Rassenschande“ bezichtigt. Seit 1935 verboten die „Nürnberger Gesetze“ sexuelle Beziehungen zwischen sogenannten „deutschblütigen“ und „jüdischen“ Menschen. Die Nationalsozialisten kategorisierten Heinz Alexander als „Jude“, weil seine Eltern vor ihrem Übertritt zum Protestantismus dem Judentum angehört hätten. Ihm drohte deshalb eine Haftstrafe.

In seinem Prozess argumentierte Heinz Alexander, sein leiblicher Vater sei „deutschen Blutes“, weshalb er nach dem neuen rassistischen Gesetz nicht schuldig sei. Das Gericht beauftragte Otmar von Verschuer mit einem Gutachten. Mit Unterstützung seines Frankfurter Doktoranden Josef Mengele stufte er Heinz Alexander als „Volljuden“ ein. Das Gericht wies diese Einstufung jedoch zurück. Nach dem gewonnenen Prozess und fünf Monaten in Untersuchungshaft siedelte Heinz Alexander nach Brasilien über, seine Eltern folgten ihm nach. In São Paulo heiratete er 1946 Doris Fleischner, mit der er zwei Söhne hatte. Henrique Alexander, wie er sich jetzt nannte, brachte als erfolgreicher Architekt in den 1950er- bis 90er-Jahren neue Ideen in Brasiliens Architektur ein.

Foto einer großen Menschengruppe, die festlich gekleidet ist. In der Mitte steht ein Brautpaar, umgeben von einigen großen Blumensträußen.

Hochzeit von Henrique Alexander und Doris Fleischner in São Paulo, 1946

Familienarchiv Stefan Alexander

Neun Fotos von drei Personen. Der sechsundzwanzigjährige Heinz Alexander und seine beiden mutmaßlichen Elternteile sind jeweils einmal im Porträt, einmal im Profil und einmal im Halbprofil abgebildet. Die drei Personen schauen ernst in die Kamera.

Anthropologische Aufnahmen aus dem Gutachten zu Heinz Alexander, 1937

Bundesarchiv, Berlin

Das Institut verfasste im Auftrag von Gerichten und Behörden Abstammungsgutachten. Dabei ordneten die Wissenschaftler*innen Menschen angeblichen „Rassen“ zu. Für das 1937 erstellte Gutachten zu Heinz Alexander zog Otmar von Verschuer eigens angefertigte anthropologische Fotos von ihm und dessen Eltern heran. Verschuer klassifizierte Heinz Alexander als „Volljuden“ – und brachte ihn damit in Lebensgefahr.

Verteidigung des „Rasse“-Konzepts nach 1945

Ehemalige Institutsmitarbeiter*innen verteidigten noch nach 1945 vehement Ideen von „Rasse“ und der Ungleichwertigkeit von Menschen. 1950 veröffentlichte die UNESCO, die Bildungs- und Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen, ein „Statement on Race“. Nach der Erfahrung des Nationalsozialismus wollte sie die Frage der „Rasse“ wissenschaftlich klären und die Gleichheit aller Menschen betonen. Nach Protest von Biolog*innen überarbeitete eine Kommission das Statement. Ihr gehörte der frühere Abteilungsleiter Hans Nachtsheim an.

Er bat seine ehemaligen Kollegen Eugen Fischer, Fritz Lenz und Hans Weinert um Kommentare. Diese strotzten vor Rassismen. 1952 veröffentlichte die UNESCO die neue Erklärung mit Auszügen aus den Stellungnahmen

Zwei Abbildungen. Die erste ist das Titelblatt der UNESCO-Publikation „The Race Concept“, die zweite ein Auszug aus dem Text. Der frühere Institutsmitarbeiter Hans Weinert behauptet darin, nur die sogenannte „Weiße Rasse“ habe Wissenschaft produziert.
Aus: UNESCO, The Race Concept. Results of an Inquiry, 1952 Staatsbibliothek zu Berlin

Welche Rolle spielt die Idee von „Rasse“ im Antisemitismus?

Video-Kommentar von

Prof. Dr. Doron Kiesel, Zentralrat der Juden in Deutschland

3:13 Min.

Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, nach 1936 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4b
Foto von drei Personen in einem Untersuchungszimmer. Eine Person in Kittel oder Kleid fotografiert eine sitzende Person im Profil. Daneben steht das Zwillingsgeschwister der fotografierten Person.
Ein Zwillingspaar bei Fotoaufnahmen im Institut, um 1930 ullstein bild
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933
Eugen Fischer bei einer Rede an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, 1933 Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl
Schwarz-Weiß-Foto. Perspektive von der Ihnestraße auf das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik um 1933/34. Auf einer Fahnenstange weht die Hakenkreuzflagge.
Das Hauptgebäude des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik mit Hakenkreuzflagge, um 1933/34 Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Abt. VI. Rep. 1, Nr. KWI-Anthrop I/4a
Das zweite Bild ist das Foto einer Frau mit dunkler Hautfarbe, der Doktorandin Irawati Karvé. Sie steht neben einem Tisch mit einer Reihe von Totenköpfen.
Irawati Karvé mit menschlichen Schädeln im „Auspackraum“ des Instituts, ohne Datum Privatarchiv Irawati Karvé/Urmilla Deshpande

DachgeschossEntmenschlichung