Hildegard B. kam 1922 in Berlin zur Welt und wuchs in Armut auf. Sie galt als unruhig und trotzig. Durch ihren Stiefvater erfuhr sie Gewalt, ihre Mutter wollte sie in ein Heim geben. 1934 attestierte ein Amtsarzt Hildegard B. „angeborenen Schwachsinn“. Diese Diagnose wurde durch „Intelligenztests“ gestellt, die sich an einem bildungsbürgerlichen Wissensstandard orientierten. Der Befund bildete die häufigste Grundlage für Zwangssterilisationen im Nationalsozialismus. Viele arme und sozial ausgegrenzte Menschen waren betroffen. Nach der Diagnose wiesen die Behörden Hildegard B. in die Wittenauer Heilstätten ein. 1938 wurde sie dort zwangssterilisiert. Danach litt sie wochenlang unter Schmerzen. Sie wollte die Anstalt verlassen.
Im Februar 1939 wurde Hildegard B. in die Anstalt Meseritz-Obrawalde in Posen überstellt. Im Juni 1941 wurde sie nochmals verlegt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wurde sie in eine Tötungsanstalt gebracht und dort im Zuge der behindertenfeindlichen „Aktion T4“ ermordet.
Bundesarchiv, Berlin
Dieses Foto von Hildegard B. entstand in den Wittenauer Heilstätten wahrscheinlich ohne ihre Einwilligung. Die standardisierte Aufnahme sollte das Wiedererkennen und Vergleichen ermöglichen. Auf diesem Bild ist Hildegard B. fast 15 Jahre alt
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem
In den Wittenauer Heilstätten wurden Hildegard B. Abdrucke ihrer Hände genommen. Sie war damals 14 Jahre alt. Auf den Drucken ist die Diagnose „angeborener Schwachsinn“ notiert. Georg Geipel untersuchte die Handabdrucke. Er glaubte, in den Handlinien Merkmale für die Diagnose finden zu können.
Der Lehrer Georg Geipel (1871–1973) begann seine wissenschaftliche Laufbahn erst im Ruhestand. Ab 1930 arbeitete er am Institut, wo er zum Experten für Daktyloskopie wurde: Er untersuchte die Finger-, Hand- und Fußlinien von Menschen. Von den Mustern schloss er auf angebliche „Erbkrankheiten“ und kategorisierte Menschen nach „Rasse“ oder „Behinderung“.
Die Abdrucke waren Menschen teilweise gewaltsam oder ohne Zustimmung genommen worden. Nach 1945 arbeitete Geipel am Max-Planck-Institut für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie (heute Max-Planck-Institut für molekulare Genetik) weiter.
Was hat die Geschichte von Hildegard B. mit uns heute zu tun?
Video-Kommentar von
Peter Mast, Kellerkinder e.V.
2:20 Min.